Der Mythos von der Zeitreserve in Projekten – Teil 2

Sabine Pfleger, Montag, 05. August 2013 | Lesedauer: unbekannt

Teil 2: Projekte rechtzeitig fertigstellen

Critical Chain - Projektampel

Bildquelle: www.Speed4Projects.Net

Urheber: Wolfram Müller, Speed4Projects; rechtsverbindlicher Lizenzvertrag: http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/legalcode

Der Post von letzter Woche hat sich mit dem Phänomen beschäftigt, dass trotz großzügig eingeplanter Zeitreserven Projekte oft nicht rechtzeitig fertig werden. In Projektteams ist der Ablauf altbekannt: Nach einer entspannten – fast gemütlichen – Anfangsphase werden Projekte zum Ende hin oft sehr stressig für alle Beteiligten. Zeitschätzungen werden dabei kaum je unterschritten.

Doch wie kann man das Problem vermeiden?

Der Physiker und Managementberater Eliyahu Goldratt hat zur Lösung 1997 die Critical Chain ins Projektmanagement eingeführt. Dabei geht es darum, den Kritischen Pfad vor Verzögerungen zu schützen, weil hier jeder Rückstand automatisch zu einer Verlängerung der Projektdauer führt. Goldratt prognostizierte, dass mit seinem Konzept Projektdurchlaufzeiten um 30 Prozent oder mehr verringert werden könnten.

Um eine Projektverlängerung zu verhindern, wird üblicherweise zwischen die einzelnen Projektphasen oder Teilprojekte jeweils ein zeitlicher Puffer gesetzt. Bei vielen Projekten besteht die Hälfte der Laufzeit allein aus Pufferzeit.

Bei der Critical Chain-Methode wird die Pufferzeit von einzelnen Vorgängen abgetrennt und gemeinschaftlich verwaltet ans Projektende gestellt. So entsteht beim einzelnen Bearbeiter nicht der Eindruck, er hätte ewig für seine Arbeitspakete Zeit und psychologische Phänomene zur Aufschiebung von Arbeit werden ausgehebelt. Die Pufferzeit am Projektende wird dann um 50 Prozent gekürzt. Das steht im Einklang mit den Empfehlungen, die Psychologen bei chronischer „Verschieberitis“ kennen: Eine Zeitrestriktion hilft dabei, effizienter mit der eigenen Arbeitszeit umzugehen. Eliyahu Goldratt hat bei seinen Versuchen die Zeitvorgaben so weit dezimiert, dass sich das Team bei keinem Vorgang mehr sicher sein konnte, die Aufgabe fristgerecht abgeben zu können.

Auch das Controlling ändert sich durch diese Methode. Projektfortschritt und Pufferverbrauch werden parallel überwacht. Es wird nicht mehr kontrolliert, ob termingerecht Meilensteine erreicht werden, sondern „nur“, wie sich der Projektfortschritt zum Pufferverbrauch verhält. Schreitet das Projekt schneller voran als Puffer aufgebraucht wird, ist alles im grünen Bereich. Wenn der Fortschritt geringer ist als der Pufferverbrauch, dann steht die Ampel auf rot. Der Übergangskorridor ist gelb gekennzeichnet.

Nach einer Anfangseuphorie ist es in letzter Zeit wieder etwas stiller um das Konzept der Kritischen Kette geworden. In einigen Projektumgebungen hat die Vorgehensweise nicht gewünschten Erfolg gebracht. Das hat mehrere Gründe.

Kritik am Critical Chain-Konzept

Meilensteine im Sinne von klar definierten Zwischenzielen eines Projektes spielen in Goldratts Konzept keine Rolle mehr. Doch Meilensteine in Projektplänen sind durchaus sinnvoll, denn sie gliedern ein Projekt und erlauben eine Überprüfung von Teilzielen - nicht nur, was den Termin angeht, sondern auch was die Qualität des Zwischenergebnisses betrifft. Projektetappen mit klar definierten Zwischenergebnissen und festem Fälligkeitsdatum helfen dabei, umfangreiche Projekte im Griff zu behalten. Ein Verzicht darauf bedeutet auch den Verlust dieser wichtigen Steuerungsfunktion. Außerdem ist es durchaus möglich, dass das Fehlen von Meilensteinen ein Phänomen wie das Gesetz von Parkinson (siehe Teil 1) eher befeuert als verhindert. Aus der agilen Softwareentwicklung weiß man, dass regelmäßige, am besten tägliche Teambesprechungen und eine kontinuierliche Ergebnisüberprüfung einem Projekt in der Regel sehr gut tun.  

Ein weiteres Problem an Goldratts Konzept sind die zum Teil extrem knappen Terminvorgaben. Im schlimmsten Fall fühlen sich Teammitglieder von vorne herein nicht daran gebunden, weil Einigkeit darüber besteht, dass der Plan unrealistisch und damit nicht zu halten ist.

Auch das Verschieben von Projektaufgaben nach hinten liegt unter Umständen nicht oder nicht nur im Studentensyndrom begründet, sondern an Ressourcenmangel, an der Belastung oder Überlastung der Mitarbeiter in mehreren Projekten oder in Projekt und Linie. Fehlende Termintreue allein der Faulheit oder Fehlplanung der Mitarbeiter anzulasten, greift hier meist zu kurz und verschleiert die eigentlichen Ursachen.

Uwe Keller vermutet in seinem Beitrag im Projektmagazin, dass nicht die Anwendung dieses spezifischen Konzeptes in manchen Projekten zu einer Verringerung der Projektdauern um mehr als 30 Prozent geführt hat, sondern dass jede systematische Projektsteuerung und -kontrolle Projektlaufzeiten signifikant verkürzen kann.

Insofern bietet Goldratts Konzept von der Kritischen Kette etliche gute Ansatzpunkte für eine Verbesserung der Termintreue in Projekten. Dennoch liefert sie keinen Grund, altbekannte Konzepte wie etwa Meilensteine aufzugeben, wenn man in der Vergangenheit gute Erfahrungen damit gemacht hat.

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