Projekte der öffentlichen Verwaltung – Teil 4: Wo die öffentliche Hand versagte

Timo Gerhardt, Dienstag, 12. September 2023 | Lesedauer: 10 min.

Das Lernen aus Fehlern ist ein erfolgversprechendes Mittel, um das Projektmanagement der öffentlichen Hand zu optimieren. Deshalb stellen wir Ihnen eine Auswahl gescheiterter öffentlicher Projekte vor.

Die Tradition von Fehlschlägen in Projekten der öffentlichen Verwaltung

Bereits im ersten Teil unserer Blog-Reihe zu Projekten in der öffentlichen Verwaltung haben wir Gründe ausfindig gemacht, die für das Scheitern öffentlicher Projekte verantwortlich sein können. Unter anderem sind hierbei die bewusst knappe Budgetierung und die mangelnde Expertise anzuführen. Vor allem Großprojekte sind aber meist sehr komplex und individuell. Sich beispielsweise schlichtweg auf eine unpassende Budgetierung zu berufen, wird dieser Komplexität nicht vollständig gerecht. Eine Überschreitung der ursprünglich angesetzten Baukosten von über 300% - wie es beim Flughafen BER der Fall war - kann schließlich nicht auf eine einfache Fehlkalkulation zurückgeführt werden. Was die tatsächlichen Gründe für das Scheitern bekannter Großprojekte waren, zeigen wir Ihnen in diesem Teil der Blog-Reihe. Aus den schwerwiegenden Fehlern, die im Rahmen dieser Projekte begangen wurden, können nicht nur die öffentlichen Institutionen, sondern auch Sie für Ihre künftigen Projekte lernen.

Die Elbphilarmonie in Hamburg

Die Elbphilarmonie gilt als Wahrzeichen der zweitgrößten und - neben München - vielleicht schönsten Stadt in Deutschland. Diese positive Reputation hatte das Bauwerk aber nicht immer und auch heute noch erinnert sich manch ein deutscher Steuerzahler nur ungerne an die Konstruktion des Konzerthauses zurück. Schließlich sollte das eindrucksvolle Bauwerk bereits im Jahr 2010 schlüsselfertig sein und das bei Gesamtkosten, die sich auf ca. 77 Mio. € beliefen. Die vom Steuerzahler zu tragenden Kosten haben sich jedoch mehr als verzehnfacht und der Bau dauerte 6 Jahre länger als geplant. Als Hauptproblem, für das im Jahre 2016 fertiggestellte Gebäude wurde im Nachhinein die mangelhafte Kollaboration und Koordination zwischen den Akteuren identifiziert. Die extremen Effizienzverluste im Dreiecksverhältnis zwischen der Stadt als Bauherr, den Architekten und den Bauunternehmen sollen für einen Großteil der Überschreitungen im Budget und dem zeitlichen Horizont verantwortlich sein.

Um eine reibungslose Zusammenarbeit zu ermöglichen und Informationsverluste an wichtigen Schnittstellen zu vermeiden, braucht es Expertise in der Koordination von Großprojekten. Dazu muss diese Koordination digital mit einer Projektmanagement-Software erfolgen. Durch eine zentrale Stelle, die für das Projektmanagement von der Planung, Durchführung bis hin zur kontinuierlichen Steuerung und Überwachung zuständig ist hätte auch in diesem Projekt eine höhere Effizienz in der Kollaboration gewährleistet werden können.

Der Flughafen BER in Berlin

Nur knapp 300 Kilometer weiter südöstlich befindet sich das nächste Negativbeispiel für öffentliches Projektmanagement. Der neue Berliner Flughafen ist ein Thema, das weit über ein Jahrzehnt in den deutschen Medien präsent war. Das Megaprojekt war ein Albtraum für alle Beteiligten und Grund für steigendes Misstrauen des Steuerzahlers gegenüber der öffentlichen Hand.

Bei einem derart umfangreichen und komplexen Bauprojekt ist eine bis ins kleinste Detail genaue Planung unverzichtbar. Fehlplanungen und das Missachten von Risiken kommen in diesem Kontext teuer zu stehen. Doch genau dies war in Berlin der Fall. Die Chronik des Versagens ist lang. Planungsfirmen wurden im Laufe des Projekts insolvent, Brandschutzanlagen funktionierten nicht, Rolltreppen waren zu kurz und von öffentlicher Seite kam es immer wieder zu falschen Versprechungen. Und damit endet die Liste nicht. Durch Ungereimtheiten an allen Ecken und Enden kam es dazu, dass sich allein die Baukosten für den Flughafen auf knapp 6 Milliarden Euro beliefen, ganz zu schweigen von Kapitalkosten. Geplant waren ursprünglich lediglich ca. 2 Milliarden Euro.

Einen großen Anteil am Fehlschlag des Projekts trägt die mangelnde Einheitlichkeit in der Umsetzung. Dass in einem derartigen Megaprojekt eine Vielzahl verschiedener Dienstleister involviert werden muss, steht außer Frage. Ein umso größerer Fokus sollte aber dementsprechend auf die Koordination und Abstimmung dieser gelegt werden, was jedoch nicht gelang. Abhilfe kann bei derartigen Problemen eine präzise Detailplanung schaffen, die in eine übergeordneten Gesamtplanung mündet. So können in Gantt-Charts Abhängigkeiten auf allen Ebenen visualisiert werden und die möglichen Auswirkungen von Verzögerungen berechnet werden. Weiter hat bei diesem Projekt das Risikomanagement versagt. Mögliche Probleme, aus denen Zielabweichungen resultieren, wurden nicht berücksichtigt. Verzögerungen, wie bei der Nacharbeit an den Brandschutzanlagen, wurden kaum miteinkalkuliert. Letztendlich lassen sich auch viele Probleme auf grundsätzliches Unvermögen im Projektmanagement zurückführen: Die Komplexität wurde nicht erfasst, die Budget- und Zeitplanung ließ stark zu wünschen übrig und letzten Endes war auch der Informationsaustausch stark defizitär.

Insieme – Das Desaster in der Schweizer Steuerverwaltung

Nicht nur Deutschland hat oft große Probleme mit öffentlichen Verwaltungsprojekten. Das zeigt dieser Fall aus der Schweiz. Bei Insieme handelte es sich um ein umfangreiches IT-Projekt der Eidgenössischen Steuerverwaltung. Ziel war ein einheitliches Gesamtsystem für die zu diesem Zeitpunkt aus informationstechnologischer Sicht veraltete Institution. Ursprünglich erhielt der Informatik-Dienstleister Unisys den Auftrag zur Durchführung. Nach anhaltenden Differenzen wurde dieser jedoch widerrufen und in Folge als kleinere Teilprojekte an mehrere Auftragnehmer vergeben. Und auch hier haben - wie beim Berliner Flughafen - zu viele Köche die Suppe versalzen. In der Folge sind schließlich auch die Kosten für dieses Projekt explodiert, bis es schließlich im Jahre 2012 bei schon angefallenen Kosten von 116 Millionen Schweizer Franken abgebrochen wurde.

Als Hauptgrund für das Scheitern wurde im Nachgang die stark mangelhafte Führung und Aufsicht genannt. Zusätzlich wurden von der Steuerverwaltung Vorschriften und Vorgaben ignoriert, die einen derartigen Worst Case verhindern hätten können. Verträge wurden beispielsweise leichtsinnig vergeben. Dieses teils widerrechtliche Vorgehen fand bewusst statt. Weiter wurde die Informationspflicht der Verwaltung gegenüber den Oberaufsichtsorganen mehrfach verletzt. Nicht nur aus diesen Gründen gilt Insieme in der Schweiz als beispielhaftes Skandalprojekt und zog weitreichende Konsequenzen nach sich.

Das Milliardengrab der Federal Aviation Administration

Das Projekt AAS (Advanced Automation System) kostete die amerikanische Bundesluftfahrtsverwaltung ganze 2,6 Milliarden US-Dollar. Obwohl „nur“ 1,5 Milliarden US-Dollar dieses Gesamtbetrags tatsächlich verschwendet wurden, gilt AAS als einer der kostspieligsten Fehlschläge der Software-Entwicklung.

Ursprünglich sollten durch das Projekt die Computersysteme der Luftfahrtsbehörde rundum erneuert werden, von neuen Endgeräten und Kommunikationsausstattung bis hin zu einem innovativen zentralen Computernetz. Jedoch wurde auch noch Jahre nach dem Projekt der veraltete Zentralrechner ohne jegliche Anpassungen genutzt. Zwar konnte ein Teil der Beschaffungen für Folgeprojekte genutzt werden, wodurch hohe Summen gerettet wurden, dennoch ging AAS als Fehlschlag historischen Ausmaßes in die Geschichtsbücher ein.

Es stellt sich die Frage, wie nur ein Projekt Beträge im Milliardenbereich verschlingen kann. Laut dem GAO (General Accountability Office) wurde die technische Komplexität nicht erkannt, benötigte Ressourcen wurden nicht realistisch eingeschätzt, die Aktivitäten der Dienstleister wurden nicht ausreichend überwacht und schließlich mangelte es an effektiven Kontrollsystemen. Außerdem wurden dem Projekt unrealistisch hohe Ambitionen nachgesagt. Der “Big Bang“-Ansatz, ein gigantisches Gesamtsystem mit alleine 173 Anflugkontrollzentren, 20 Bereichsleitstellen und über 460 Kontrolltürmen von Grund auf zu revolutionieren hat sich als Herkules-Aufgabe herausgestellt. Eine phasenweise, graduelle Systemeinführung wäre wohl der beste Ansatz gewesen. Das Projekt verkörperte jedoch das Gegenteil.

Das Opernhaus in Sydney – ein Fehlschlag?

Hin und wieder kommt es vor, dass Projekte vorschnell als Fehlschlag abgestempelt werden, sich aber einige Zeit nach Projektabschluss doch noch als Erfolg entpuppen. Das Paradebeispiel hierfür ist das Opernhaus in Sydney. Eigentlich erfüllte das Opernhaus alle Voraussetzungen, um als Fehlschlag zu gelten: Der zeitliche Rahmen wurde gesprengt, das Budget wurde bei Weitem überschritten und das Projektziel wurde gänzlich verfehlt. Der Erfolg, klassischerweise gemessen am sogenannten „Iron Triangle“ aus Time, Budget und Scope, blieb klar aus.

Dennoch gilt das Opernhaus heute, ca. 50 Jahre nach der offiziellen Eröffnung, als voller Erfolg und als das Wahrzeichen Australiens. Auf der einen Seite hat das Bauwerk als Teil des UNESCO-Weltkulturerbe eine überragende kulturelle Bedeutung. Auf der anderen Seite ist das Opernhaus auch aus ökonomischer Sicht von großem Wert. Schließlich wird die Location jährlich für ca. 1500 Auftritte genutzt und lockt damit über 1,2 Millionen Menschen an. Nicht zu vernachlässigen ist die allgemeine Bekanntheit, die jährlich zahlreiche Touristen nach Australien und speziell nach Sydney lockt.

Folglich sollte man den Projekterfolg nicht immer nur kurzfristig anhand des „Iron Triangle“ beurteilen. Für eine aussagekräftige Bewertung sollten auch weitere Faktoren auf langfristige Sicht berücksichtigt werden. Ob offiziell fehlgeschlagene Projekte wie die Hamburger Elbphilarmonie einen ähnlichen Status wie das Opernhaus in Sydney erlangen und als voller Erfolg bewertet werden, wird uns die Zukunft zeigen.

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